Die zweite tägliche Kolumne während des Gipfels übernimmt Dorothea Schlueter. Sie arbeitet beim Textem-Verlag und ist als Galeristin in Hamburg unterwegs. Es folgt der erste Teil ihrer Beobachtungen
Ich ärgere mich über mich selbst, wenn ich am abend des 4. juli auf dem hamburger pferdemarkt stehe und meinen fahrradhelm anschnalle, weil oder obwohl ich gerade hinter die sich bildende polizeikette getreten bin. Die machen da sowieso gerade gar nichts, es ist eine art beschnupperungsmanöver mit dem potenzial auch jetzt sofort schon bürgerkrieg zu veranstalten. aber heute passiert das, jedenfalls hier, nicht.
Worüber ärgere ich mich an mir selber?
Da wäre a) eine altkluge art und weise über dinge zu sprechen, von denen ich gar keine ahnung habe, die ich mir aber gesprächshalber sehr leicht zum thema machen kann, ohne dass ich später im gespräch klüger wäre. Was meistens egal ist, oder besser noch normalerweise geradezu die nötige »offenheit« schafft, mich aber heute im belagerungszustand aufregt. b) eine ziellosigkeit meiner möglichen äußerungsformen. c) ein stieres glotzen auf simple und harmlose äußerungsformen, da wäre das gewand wie die kommunikation: natürlich tragen ordner baggy-pants mit arbeitsschuhen, natürlich tragen journalisten die zu einem alternativen pressezentrum kommen jeans mit turnschuhen, die ordner tragen natürlich cappies und handfunken (die mich in ihrer akustik die ganze zeit ans taxifahren oder die polizei selbst erinnern) und natürlich tragen die journalisten der bürgerlichen presse einen mäßig eleganten sommermantel mit lederschuhen und fragen nebenbei noch wann die konzertreihe weitergeht, denn man kennt einander doch – wirklich schon lange jahre (vom weggucken zwar nur – aber so kennt man sich eh in dieser stadt, unabhängig von irgendwelchen gipfeltreffen).
Ich werde an diesem abend gesiezt, was an meinen kleidern liegt, nicht weil ich eine bestimmte funktion inne hätte. leute die mich nicht ansprechen wollen, wegen meiner für sie befremdlichen garderobe, aber dennoch in kommunikation mit mir treten müssen, tun das nonverbal: meine aufgabe ist es kaffee auszuschenken. ich sehe aus wie eine tussi, was mir gefällt, weshalb in der organisation höher stehende menschen wortlos gleich die ganze drei liter thermoskaffeekanne anheben und schütteln, um zu prüfen ob ich nachschub brauchen könnte. das anliegen hinter der tat bekomme ich aber nur heraus, wenn ich sie frage was sie jetzt vorhaben. denn eigentlich war das ein hilfsangebot von ihnen. aber weil ich zu sehr (und das ist leider doch gar nicht so weit) aus dem crew-schema herausrage, kann mich keiner mehr ansprechen. Die menschen die von sehr weit weg angereist sind (aus welchen gründen auch immer) haben kein problem mit mir und die ganz jungen menschen später auf der straße siezen mich einfach, wenn sie eine zigarette haben möchten – so einfach ist das. Ich bin wieder bei punkt a) angekommen der altklugen art. So mache ich weiter! Mein system ist nämlich auch wie polizei rechtsetzend und recht(s)erhaltend – nur dass ich kein staat bin.
was war jetzt mit der kleinen form. ich wollte doch über das »kleine schwarze« schreiben und über morandis stilleben. das gehört natürlich zusammen, denn die jeweilige natur und form der einzelnen vasen und flaschen und sonstwelcher gefäße war für morandi völlig gleichgültig. wichtiger war die anordnung, gruppierung und vor allem der zauberhafte staub der sich während der monate, ja jahrelangen betrachtung darauf ablagerte, niemand durfte diese ensembles umstellen. sie musssten eine zentimeter dicke schicht staub ansammeln, denn dieser brachte eine zauberische lichtbrechung zuwege, ein diffuses irgendwo halb luft halb ding, was morandi zu raum‑ und flächenbeobachtungen anstachelte, (wegen des staubs war es einfacher von einem tiefen zu betrachtenden raum auf eine malerische bemalbare fläche zu kommen) die meines wissens (in der malerei) ohne gleichen ist, denn es geht nicht um die einzelnen gefäße sondern um die räume dazwischen (und diese flächen dazwischen sind keine territorien).
und jetzt noch kurz das »kleine schwarze«, denn auch dort geht es natürlich auch nur um den raum dazwischen, zwischen den herren mit den damen mit dem »kleinen schwarzen« und den anderen herren oder damen. jedenfalls ist die form des gefäßes auch hier völlig egal. interessant an einem abend mit mehreren »kleinen schwarzen«-kostümen ist immer nur der verhandlungsspielraum dazwischen. Natürlich ist das quatsch.
denn bei menschengruppen geht es ja um bewegung und nicht darum solange still zu stehen, bis man staub ansetzt – tatsächlich bekommt das auch keiner hin, aber der begriff »kleines schwarzes« ist so alt wie morandi und die beobachtungen sind die selben wie bei den fläschchen und kannen seiner bilder, interessant ist das dazwischen und es tut ganz harmlos, häuslich sonnenfleck atmend und reglos, wie auch die bilder. schön ist das, aber nicht gut.